Keine Judenmission

Hallo,

ich bin gerade durch Zufall in ein Problem gestolpert, das ich auf Anhieb für mich nicht auflösen kann. Falls ich offensichtliches übersehen haben sollte, bitte ich um Nachsicht.

In der Folge des Holokaust wurde das Verhältnis der christlichen Kirchen zum Judentum revidiert, etwa durch die Aussagen des 2. Vatikanums zur „Schuld“ bzw. „Unschuld“ der Juden am Tod Jesu. Dabei wurde auch der Missionsauftrag der den Christen ja gegeben wurde, von einigen Kirchen und Missions-Institutionen in Bezug auf Juden eingeschränkt und etwa in den 1990ern von verschiedenen evangelischen Landeskirchen der Judenmission eine dezidierte Absage erteilt.

Dies zum einen mit der Begründung, dass die im AT bezeugte Erwählung des Volkes Israel nach wie vor gültig sei, aber auch in Hinblick auf die Shoa/den Holokaust, um damit jeden Ansatz für Antijudaismus und eine Existenzbedrohung des Volkes Israel, die ja auch in einer erfolgreichen Mission zu sehen wäre, auszuschließen.

Beides sind nachvollziehbare Gründe, allerdings sehe ich einen unauflöslichen Widerspruch mit der neutestamentlichen Aussage Jesu, dass niemand zum Vater käme außer durch ihn. Theologisch bedeutet der Verzicht auf Judenmission also, dass man es aufgibt diesem Teil der Menschheit den vollen Zugang zum Heil zu zeigen.

Darüber hinaus entsteht ein Konflikt zwischen dem tatsächlich als unverbrüchlich ausgesagten Bund Gottes mit Israel, der ja auch eine Heilszusage beinhaltet und dem NT-Anspruch auf Exklusivität in der vollen Heilswirkung.

Ist nun der Verzicht auf Judenmission als ein theologisch fragwürdiger Schritt zur Befriedung historischer Konflikte aufzufassen, oder ist der Heils-Anspruch Jesu zu relativieren und den Juden ein Primat oder mindestens Geleichwertigkeit im Heilszugang zuzugestehen?
Oder gibt es noch eine Lösung?

Gruß
Werner

Hallo Werner

Beides sind nachvollziehbare Gründe, allerdings sehe ich einen
unauflöslichen Widerspruch mit der neutestamentlichen Aussage
Jesu, dass niemand zum Vater käme außer durch ihn.

Das bedetet aber keineswegs, dass man deswegen einer christlichen Kirchen angehören müsste. Jesus konnte ja nicht wissen, dass sich aus seinem kleinen, progressiven „Fischerverein“ mal so riesige, mächtige Kirchen wie die in Rom entwickeln würden.
Er war ein jüdischer Prediger (Zimmermann bis Rabbi, wenn du so willst), der in gewissem Snne das damalige Judentum reformiert hat (ähnlich wie Buddha beispielsweise den Hinduismus), aber er hat ja nicht grundsätzlch mit der jüdischen Religion gebrochen.
Gruß,
Branden

Hallo Werner,

vor ein paar Jahren hat die evang. Kirche von Berlin eine Tagung zu dem von Dir erwähnten Spannungsfeld durchgeführt. Sie lief unter dem Titel:
„… sie (die Juden) sind schon beim Vater“ - wobei implizit auf den
Vers im Johannesevangelium „niemand kommt zum Vater als durch mich (Jesus“ Bezug genommen wurde.

Viele Grüße

Iris

Hallo,
das löst das Problem aber auch nicht.
Gruß
Werner

Hallo,
Du kannst mir wahrscheinlich dieses Motto nicht erklären, es erscheint mir aber das Problem nicht zu lösen. Schließlich heißt es im NT niemand und nicht niemand außer die Juden und noch dazu sagte Jesus dies ja direkt zu Juden. Eigentlich scheint mir dieses Motto schlicht falsch.

Aber selbst, wenn ich es mal als gegeben annähme, dann hieße das dann, dass Jesus sich in der Adresse geirrt hat!?
Warum hat er sich in seinem eigenen Wirken doch (fast ausschließlich) an Juden gewendet, wenn die ihn gar nicht brauchen?

Die Öffnung seiner Lehre in Richtung auf „Heidenchristen“ war ja unter seinen Nachfolgern keineswegs unumstritten.

Gruß
Werner

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Hallo Werner,

Theologisch
bedeutet der Verzicht auf Judenmission also, dass man es
aufgibt diesem Teil der Menschheit den vollen Zugang zum Heil
zu zeigen.

bevor ich hier eine lange Abhandlung über den Heilsplan für die Juden schreibe, würde mich interessieren, was Du unter „vollen Zugang zum Heil“ verstehst.

Darüber hinaus entsteht ein Konflikt zwischen dem tatsächlich
als unverbrüchlich ausgesagten Bund Gottes mit Israel, der ja
auch eine Heilszusage beinhaltet und dem NT-Anspruch auf
Exklusivität in der vollen Heilswirkung.

Diese „Exklusivität“ halte ich für einen gefährlichen Irrtum.

Gruss Harald

Hallo Werner,

Beides sind nachvollziehbare Gründe, allerdings sehe ich einen
unauflöslichen Widerspruch mit der neutestamentlichen Aussage
Jesu, dass niemand zum Vater käme außer durch ihn.

Nun, man kann auch davon ausgehen, dass sich Jesus hier geirrt hat. Daraus würde folgen, dass er nicht unfehlbar, also nicht Gott ist.

Damit verschwände aber mit dem Widerspruch auch gleich die eigene Bindung zur christlichen Lehre. Will man Christ bleiben, kann man diesen Widerspruch also nicht lösen. Man wird damit leben müssen, dass der eigene Glaube in einigen Punkten unlogisch ist.

In der Folge des Holokaust …

Übrigens - mir stehen die Haare zu Berge, wie du hier „Holocaust“ schreibst. Diese Schreibweise erinnert mich zu sehr an „Holoklaus“, so sagen die Neonazis dazu, in Anlehnung an „Nikolaus“, den es ja „ebenfalls“ nicht gibt, falls du verstehst, was ich meine.

Ich meine, man kann sicher gewisse Worte eindeutschen, wenn man das Bedürnis danach hat. Bei diesem hier würde ich es mit Sicherheit bleiben lassen.

Schöne Grüße

Petra

Hi,

man könnte eventuelle Paulus zur Rate ziehen und mit einer bestimmten Auslegungsrichtung sagen: Paulus missioniert primär die Heiden. Sein Ziel ist es: (a) die Heiden in den Bund Gottes mit Israel hineinzunehmen (oder b) den Heiden einen anderen Heilsweg aufzuzeigen als Israel (so dass es dann zwei Heilswege nebeneinander gibt). Beides sind Wege der „New Perspektiv on Paul“.

Ansonsten muss man sagen, dass das Johannesevangelium es ja eh nicht so mit den Juden hat. Dazu kommt, dass es extrem christozentrisch ist. Es gilt also immer auch die Vielschichtigkeit der biblischen Schriften bei dieser Fragestellung im Auge zu behalten.

Liebe Grüße

Chris

Moin,

Oder gibt es noch eine Lösung?

Ich meine, die Lösung liegt im Informationszeitalter. Zu Zeiten, als tatsächlich noch jemand loslaufen musste, um anderen Menschen vom Christentum zu erzählen, damit diese überhaupt davon erfahren, mag man sich ja noch Gedanken gemacht haben, ob nun auch jemand zu Juden gehen sollte oder nicht.

Aber heutzutage dürfte jeder vom Christentum gehört haben und jeder Jude, der ein Interesse am Christentum hat oder sogar einen Beitritt erwägt, sollte keine Probleme haben, sich zu informieren oder eine Möglichkeit zu finden beizutreten.

Insofern findet „Missionierung“ heutzutage eh auf ganz anderen Wegen statt und erreicht durch die Medien sowieso jeden, der daran angeschlossen ist.

Gruß
Marion

Hallo Harald,

ich will hier auch nichts ausufern lassen, darum bleibe ich bei der von mir bereits genannten Aussage, dass man nur durch Jesus Zugang zum Vater erhält. Wenn aber Heil darin liegt, nahe bei Gott zu sein (würdest du mir da widersprechen?) und dies ausschließlich über Jesus möglich ist, dann klingt das für mich sehr exklusiv. Von daher würde mich interessieren, wo du den Irrtum siehst.

Gruß
Werner

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Holocaust (offtopic)

In der Folge des Holokaust …

Übrigens - mir stehen die Haare zu Berge, wie du hier „Holocaust“ schreibst.

Da kann ich dir nur zustimmen.
Zur Bezeichnung und Schreibweise haben wir in einer Diskussion erst kürzlich etwas aufgeklärt:
/t/shoah/5005194/8
/t/shoah/5005194/6

Gruß
Metapher

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Hallo,

Damit verschwände aber mit dem Widerspruch auch gleich die eigene :Bindung zur christlichen Lehre. Will man Christ bleiben, kann man
diesen Widerspruch also nicht lösen. Man wird damit leben müssen, dass
der eigene Glaube in einigen Punkten unlogisch ist.

Der Weg zur Auflösung des Widerspruches wäre es den Ausschluss einer Judenmission zu verwerfen, denn der ist nicht biblisch begründet. Will ich diesen aber aufrecht erhalten, dann steck ich in der Klemme.

Für deine Assoziationen beim Lesen von „kaust“ kann ich aber wirklich nichts, auch wäre durch Schreibung mit „C“, was die Verballhornung des Wortes angeht, auch nichts gewonnen, denn die würde auch mit „C“ funktionieren.
Tatsächlich ist Holocaust eine fehlerhafte Anglisierung. Die Schreibung mit „K“ entspricht dabei der Transkription des griechischen Begriffs.

Gruß
Werner

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Hi,

Man
wird damit leben müssen, dass der eigene Glaube in einigen
Punkten unlogisch ist.

muß das nicht jeder Gläubige irgendwie? Im Laufe der Zeit scheint ja jeder seine eigenen Methoden zu entwickeln, damit umzugehen.

Gruß
Torsten

Das ist ein heikles Thema, lieber Werner!

1980 hat die Synode der Rheinischen Kirche einen Beschluss zur Erneuerung des Verhältnisses vo Juen und Christen gefasst, der ziemlich Furore gemacht hat, weil er sie erste kirchliche Stellungnahme war, die sich explizit theologisch mit dieser Problematik auseinandersetzte.

Hier ist ein link dazu:
http://www.horstkannemann.de/erneuerung.html

Dieser Synodalbeschluss ist in manchem anfechtbar, auch vom Neuen Testament her. Er ist denn auch unter ziemlichem Druck „einmütig“- ich weiß nicht, ob auch einstimmig - beschlossen worden. Manche Kritiker, die wirklich schwerwiegende theologische Einwände hatte, haben unter diesem Druck darauf verzichtet, sie geltend zu machen.

Darin wird auch von der Judenmission Abschied genommen mitder Formulierung:

Wir glauben, dass Juden und Christen je in ihrer Berufung Zeugen
Gottes vor der Welt und voreinander sind; darum sind wir überzeugt,
dass die Kirche ihr Zeugnis dem jüdischen Volk gegenüber nicht wie
ihre Mission an die Völkerwelt wahrnehmen kann.

Das halte ich auch für richtig, vor allem für die deutsche Kirche - egal welcher Denomination - angesichts der unerträglichen gemeinamen Vergangenheit. Allerdings hat der Beschluss in seiner These 3 gesagt:

Wir bekennen uns zu Jesus Christus, dem Juden, der als Messias :Israels der Retter der Welt ist …

Wenn er der Messias Israels ist, dann kann man nicht darauf verzichten, ihn auch Israel gegenüber zu bekennen, zu verkündigen, zu propagieren oder was immer.

Die Frage ist, wie der Missionsauftrag von Matth 28 zu verstehen ist:
Meint er „Juden + Heiden“ oder meint er nur die „Heiden“? (Ich für mein Teil tendiere allerdings dazu, ihn als nur an die Juden gerichtet zu verstehen: Das Matth schildert Jesus als einen Gesetzeslehrer, der eine andere Interpretation und Realisierung der Thora lehrt. Das „was ich euch befohlen habe“ ist dann dieses neue Schriftverständnis und richtet sich darum naturgemäß zuvörderst an jene, welche die Thora befolgen.)

Nach Römer 1, 16 gilt das Enagelium aber auch den Juden, ihnen gar zuerst. Darum geht Paulus nach dem Zeugnis der Apostelgeschichte auf seinen Reisen zuerst auch immer in die Synagogen, danach erst zu den „Heiden“.

Auch hat sich das Verständnis von Mission geändert: Sie ist längst nicht mehr möglich oder auch nur denkbar als religiöser, kultureller, ideologischer Kolonialismus. Sie muss Treue gegenüber dem Auftraggeber mitRespekt vor dem Gesprächspartner verbinden. Als Gespräch von gleich zu gleich rechnet sie mit der Gegenart Gottes, die beide beide! Gesprächspartner verändert.
Mission knn also nichts anderes sein als ein „Gespräch in Geistesgegenwart“ Das kann sie allerdings auch im Gespräch mit Juden sein.

Das bedeutet: Jeder imperiale Gestus ist fehl am Platze.

Es wäre noch viel dazu zu sagen, aber dies soll erst mal reichen.

Froher Gruß! - Rolf

Liebe Petra_44

In der Folge des Holokaust …

Übrigens - mir stehen die Haare zu Berge, wie du hier
„Holocaust“ schreibst. Diese Schreibweise erinnert mich zu
sehr an „Holoklaus“, so sagen die Neonazis dazu, in Anlehnung
an „Nikolaus“, den es ja „ebenfalls“ nicht gibt, falls du
verstehst, was ich meine.

Ich meine, man kann sicher gewisse Worte eindeutschen, wenn
man das Bedürnis danach hat. Bei diesem hier würde ich es mit
Sicherheit bleiben lassen.

Hier wurde die Schreibweise von Guido Knopp übernommen, der sein (gutes) Buch so nannte.
Viele Grüße
Voltaire

Hallo Werner,

ich will hier auch nichts ausufern lassen,

also nur kurz.

darum bleibe ich
bei der von mir bereits genannten Aussage, dass man nur durch
Jesus Zugang zum Vater erhält. Wenn aber Heil darin liegt,
nahe bei Gott zu sein (würdest du mir da widersprechen?) und
dies ausschließlich über Jesus möglich ist, dann klingt das
für mich sehr exklusiv. Von daher würde mich interessieren, wo
du den Irrtum siehst.

  1. es gibt mehrere Zugänge zum Heil (zu Gott), auch wenn Jesus immer daran beteiligt ist.

  2. das Heil liegt auch darin, die zukünftige Welt zu erreichen. Und das ist auf verschiedene Arten möglich. (zB.: Röm.11,25-26; Matt.11,11; Offb.20,12)

Wenn es also mehrere Möglichkeiten gibt, ein Ziel zu erreichen, spreche ich nicht von Exklusivität.

Gruss Harald

Unser Denken und Glauben gründet sich auf etwas, was wir voraussetzen oder was wir im (christlichen) Glauben als für uns vorausgesetzt annehmen. Christen haben die Gewißheit, von Gott in seine Nachfolge berufen zu sein und dass die Schrift Gottes Wort ist, die uns der Heilige Geist als (Denk-Glaubens)Voraussetzung gegeben hat. Setzen wir nun voraus (also glauben wir), dass die Schrift für uns Gottes Wort ist, so entnehmen wir ihr, dass es einen Heilsweg für alle Menschen gibt, auch für die Juden. Der Gerechte (der den von Gott gewirkten Glauben angenommen hat) wird aus Glauben (ewig) leben. Das ist es, was Gott uns lehrt.

Dieser Glaubensweg soll allen Menschen mitgeteilt werden - auch den Juden.

Grüße

Olaf Bellstedt

Hallo Olaf!

Der Gerechte (der den
von Gott gewirkten Glauben angenommen hat) wird aus Glauben
(ewig) leben. Das ist es, was Gott uns lehrt.

Dieser Glaubensweg soll allen Menschen mitgeteilt werden -
auch den Juden.

Warum?
Die Juden wissen es ja schon:
Sie haben Mose und die Propheten; die sollen sie hören.“ (Luk.16,29)

Gruss Harald

Hallo,

bleibt immer noch die Frage, warum Jesus als Jude unter Juden wirkte, wenn die ihn gar nicht brauch(t)en.

Gruß
Werner

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Grüß dich, Harald!

Die Juden wissen es ja schon:
"Sie haben Mose und die Propheten; die sollen sie
hören.
" (Luk.16,29)

Liest man nicht irgendwo bei Paulus: Gott hat zu uns gesprochen zuerst durch Moses, dann durch die Propheten „und zuletzt durch seinen Sohn“.
Meint Paulus damit, dass nur die Heiden auf Christus hören sollen?
(Ich weiß es nicht.)
Es ist dies ein bei den griechischen und lateinischen Vätern geläufiger „Dreisatz“. Sie erreichen dadurch, die Christen als „die neuen Israeliten“ (also: als die Auserwählten) zu interpretieren.
Schönen Gruß!
Hannes

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